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Storytelling im Handelsmarketing? Nein! Storyselling!

Storytelling in der Werbung ist nur ein Zeitgeist-Begriff, Storyselling ist so alt wie der Handel selbst.

Achtung: Hier geht es uns um den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Storytelling und
Storyselling. Seit Menschengedenken haben Händler ihre Produkte oder Dienstleistungen
angepriesen – mit Geschichten und Versprechungen. Das ist heute nicht anders, und nicht erst seit
Erfindung des Internets oder des Smartphones.

Seit jetzt ein paar Jahren predigen selbsternannte Werber- und Marketing-Gurus, dass heutzutage
nichts mehr ohne Storytelling geht. Ach, wirklich? Plötzlich werden selbst zum überflüssigsten
Produkt, zu absoluten Low-Interest-Produkten superwichtige und entscheidende „Stories“ verbraten.
Das geschieht zumeist mit Hilfe von „Influencern“. Leider auch zumeist auf hochnotpeinliche Art und
Weise. Da werden Bilder gepostet, auf denen „Influencer“, die um die eine Million oder mehr
Follower haben, gemütlich auf der Couch liegen – zusammen mit einem Küchengerät, das sie ganz
verliebt anschauen. Oder mit 20 Schokoriegeln glücklich in der Badewanne liegen. Mit Wintersocken
am sonnigen Strand? Mit einem Haarglätter einen Spaziergang machen? Geht’s noch? Einfach
„Influencer-Fails“ googeln, wenn man mal herzhaft lachen möchte. Oder weinen …


Schlimmer geht immer

Und dann gibt es da noch die ausführlicheren „Stories“, die von Marken fabriziert werden.
Beispielsweise von Airlines, die so hoffen, damit Kurzreisen, Städtereisen zu vermarkten. Wieder
sind dann „Influencer“ auf den Plan gerufen, die drei oder vier Tage irgendeine Stadt besuchen, tolle
Dinge sehen und erleben, und dann darüber ausführlich berichten. Das Dumme dabei, was des
Öfteren passiert ist: Diese Leute haben nie die heimische Couch verlassen. Stattdessen wurden
lizenzfreie Fotos von Bildagenturen runtergeladen und zu Reiseberichten von anderen gepackt, die
diese Reiseberichte selber irgendwo abgeschrieben haben. In solchen Fällen kann man getrost
sagen: „Komm, erzähl keine Geschichten!“.


Storytelling, was noch?

Klassische Werbung versucht im TV auch gerne „Storytelling“. Ja, gute TVCs erzählen in nur 30
Sekunden eine Geschichte. Gute, wohlgemerkt, und die machen nur 0,1% aus. Die Realität: Diese
Stories“ sind zu 99,1% aufgesetzte „Stories“, die kein halbwegs vernünftiger Mensch auch nur
ansatzweise verstehen oder nachvollziehen beziehungsweise freudig überrascht darüber lachen
kann. Viele Marken müssen ihre Zielgruppen für grenzdebil halten. Beispiel gefällig? Gerne:
Wir sehen einen Mann im Badezimmer, der mit einer kompliziert aussehenden, selbstgebauten
Apparatur bestehend aus Bohrmaschine mit Klobürste als Aufsatz, dazu Ventilator und komischen
Gestänge, der vor der Kloschüssel sitzend versucht, schlechte Gerüche zu eliminieren. Ooookay,
macht ja jeder, jeden Tag. Dann erscheint seine Frau und lächelt mitleidsvoll, fast vorwurfsvoll, und
gibt ihm einen handelsüblichen Duftstein für die Klospülung. Ach du Scheiße, was für eine
Geschichte, was für eine „Story“ …


Anders dagegen: Storyselling

Storyselling ist, wenn ein Verkäufer seinen Job gut macht. Nicht nur auf der Fläche, sondern überall,
wo man ihn antreffen oder mit ihm kommunizieren kann, auch im Internet, beispielsweise in
Customer Support Chats, die mittlerweile ja zum Glück schon fast Standard geworden sind. Hier
kleine Anekdoten von unseren Kollegen dazu … Ein Kollege aus der Buchhaltung beschloss, sich
ein MacBook zu kaufen. Okay. Er ging online und durchstöberte die Angebote. Ein Chat-Fenster
öffnete sich und bot Hilfe bei der Modellfindung an. Erste Frage von ihm war, wofür er denn ein
MacBook Pro benötigen würde? Hmmm, nur E-Mails schreiben, surfen, und eventuell noch Microsoft
Office? Wozu dann ein vergleichsweise sehr teures MacBook Pro? Für den Preis und für den
geplanten Einsatz würde er fünf gute PC-Laptops kriegen. Ausreichend für viele Jahre. Es gab
ausweichende Antworten, doch der virtuelle Verkäufer ließ nicht locker. Zum Schluss brachte er es
auf den Punkt:

„Sie wollen also ein MacBook Pro, weil Sie damit ihre Freunde beeindrucken wollen, weil Sie Ihrer
Kollegin mit einem so schicken, coolen Gerät imponieren wollen? Ernsthaft? Dann reicht Ihnen auch
ein Refurbished MacBook von vor zwei Jahren, nicht diese hier, die sind für Vollprofis aus dem Kreativbereich konzipiert. Wenn Sie also nie mit der Creative Suite arbeiten werden, brauchen Sie
das nicht, sparen Sie sich das Geld. Das wäre so, als würden Sie sich einen Mercedes mit AMG
Tuning kaufen, nur um Samstags bei der Bäckerei um die Ecke vorzufahren.“

Guter Verkäufer, sehr guter Verkäufer … und unser Kollege schwört noch heute auf den super Support und die „Beratung“.

Anderes Beispiel, ebenfalls von einer unserer Kolleginnen: Sie wollte einen Reiserucksack für ihren Südamerika-Urlaub kaufen. Sie informierte sich online über Preise und Modelle und ging dann in ein großes Fachgeschäft. Auch hier fragte der Verkäufer genauer nach, wofür denn der Rucksack gedacht sei. Er hörte sich das alles an, stellte noch ein paar weitere Fragen und sagte dann:

„Sorry, aber in Ihrem Fall sind Sie hier falsch. Bitte nicht falsch verstehen, aber Sie brauchen keinen Markenrucksack für 500 Euro, für ein Mal drei Wochen Peru, wo Sie in klimatisierten Minibussen unterwegs sind und in guten Hotels übernachten. Kann ich Ihnen gerne verkaufen, kein Problem, aber gehen Sie besser in den Army-Shop hier um die Ecke, da kriegen Sie sehr gute Nachbauten von Rucksäcken, mit denen Soldaten in den Krieg gegangen sind, die halten was aus, erfüllen alle Ihre Bedürfnisse – und kosten nur um die 50-70 Euro. Viel Spaß im Urlaub.“

Auch hier: sehr, sehr guter Verkäufer … und unsere Kollegin schwört immer noch, Jahre später, auf ihrem Rucksack.


Okay, das war downgrading – es aber auch anders herum

In diesen beiden Fällen haben die Verkäufer zwar nicht den größtmöglichen Umsatz gemacht, aber sie haben treue Kunden gewonnen. Unser Kollege hat seitdem alle seine elektronischen Geräte nur noch dort gekauft. Und die Kollegin kaufte sich dann nach dem Rucksack im Army-Shop ihre komplette Funktionskleidung für ein paar Hundert Euro bei diesem Verkäufer. Warum wohl? Wir haben mal bei uns nachgefragt und fast jeder konnte von ähnlichen Situationen berichten. Mal war es downgrading, mal war es aber auch upgrading. Dann, wenn gute Verkäufer gute Argumente hatten. Wenn sie etwas erzählen konnten. Wenn sie nicht einfach nur Werbung herunterleierten. Wenn sie plakativ und vergleichend waren, wenn sie aus dem Leben erzählten. So wurde dann auch mal aus dem geplanten Heimwerkerkoffer inklusive Akkuschrauber für 29 Euro dann doch das Profi-Set für 400 Euro.

Das ist Storyselling – praktisch, relevant, hilfreich, authentisch, glaubwürdig. Und das ist der sehr feine, aber entscheidende Unterschied zum Storytelling.

Niels Schiff
Allgemein